Quo vadis, “Arbeit” – Macht unser Arbeitskonzept überhaupt noch Sinn?

12 Mai 2023 | Unternehmen

Wir verbringen einen Großteil unserer Zeit im Leben mit “Arbeiten”.  Eine der natürlichsten Unterscheidungen ist hier meist die zwischen dem, was muss (Arbeit) und dem, was wir möchten (Freizeit).  Arbeit steht in Verbindung mit der Idee etwas zu leisten, neues zu erschaffen und Kompetenzen zu erlangen, die gesellschaftlich für unsere Lebensweisen gebraucht werden.  Freizeit wird als die Zeit verstanden, die uns frei zur Verfügung steht, für das Leben all der Interessen, die keinen Platz im Rahmen unseres Arbeitslebens haben.  Ich behaupte, dass dieses Verständnis von Arbeit und das Arbeitskonzept, dass wir aktuell als „normal“ betrachten, am Ende der Möglichkeiten angelangt ist.  Welche Aspekte mich zu diesem Schluss bringen, möchte ich Dir gerne in diesem Artikel darlegen.

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Das Konzept Arbeit im gesellschaftlichen Kontext

„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“

„Wer Feiern kann, kann auch Arbeiten“

„Ohne Fleiß kein Preis“

„Wer rastet, der rostet“

Wer kennt sie nicht, die wunderbaren Sager, die wir gesellschaftlich seit Jahrzehnten weitergeben.  All diese Sager haben eines gemeinsam, nämlich die Idee, dass es eine bestimmte Art und Weise gibt, wie das Leben funktioniert und über wie viel der Zeit wir zu welchem Ausmaß frei bestimmen können.   Überall schwingt auch die Idee mit, dass Arbeit nicht von sich aus eine Sinnhaftigkeit, geschweige denn Sinnstiftung für jede*n einzelne*n beinhaltet.   Arbeit ist das, was wir leben oder das, was wir tun, um zu leben.  Die Dinge, die uns am Herzen liegen, die wir als sinnvoll empfinden für uns als Menschen und mit denen wir Sinn stiften sind oftmals eher in der Freizeit verortet.

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Die Eckpunkte des aktuellen Konzeptes von „Arbeit“

365 Tage im Jahr, unterteilt in Monate und Arbeitswochen sowie Wochenenden.  5 Tage pro Woche, die zum Arbeiten gedacht sind, 2 Tage pro Woche, die (in den meisten Fällen) für Anliegen zur Verfügung stehen, die nicht Arbeit sind.  40 Stunden und mehr an den 5 oder mehr Arbeitstagen wird der Arbeit gewidmet, der Rest allem anderen.  In unserem Arbeitskonzept ist der Arbeitstag gedanklich verortet mit 8 Stunden als Standard-Größe – klassischerweise und überwiegend als „normal“ betrachtet startend morgens, endend nachmittags.

Das sind die Ausgangspunkte von allen weiteren Spezifizierungen unseres Arbeitskonzeptes:  Darunter ist es geringfügig oder Teilzeit, darüber das Leisten von Überstunden, zu anderen Tageszeiten Schichtdienst, Spät- und Nachtdienst.  Es gibt zudem einen Hauptberuf, dem wir den größeren Teil unserer Zeit widmen und manchmal eine nebenberufliche Tätigkeit, unbezahltes Ehrenamt oder unbezahlte Care-Arbeit, in der wir ebenfalls etwas leisten, aber eben nicht entsprechend unserem Arbeitskonzept dafür mit finanziellen Ressourcen ausgestattet werden.

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Die Eckpunkte unserer Idee von “Freizeit”

In unserem Arbeitskonzept wird die Freizeit als unsere „freie Zeit“, die Zeit, die uns nach getaner Arbeit frei zur Verfügung steht, verstanden.  Beim ersten Blick ziemlich super: 8 Stunden Arbeit machen bei 24 Stunden schließlich einen Überhang an Freizeit von genialen 16 Stunden aus!  Aber halt: Können wir diese 16 Stunden Zeit wirklich frei nutzen? Eigentlich nicht.

Wir sollten ja auch noch schlafen, idealerweise so um die 8 Stunden, bleiben also noch 8 Stunden, die wir uns frei einteilen können.  Auch das ist noch ein ganz guter Deal: 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden freie Zeit. Aber Moment.  Arbeiten, Schlafen, Selbstversorgung, Care-Arbeit, Erholung, Hobbies… Puh, ein ganz schönes Programm, das überwiegend mit Leistungstätigkeiten gefüllt ist, insbesondere, wenn ein Großteil unserer Energie bereits in die Arbeit geflossen ist.  Wirklich frei ist die Zeiteinteilung hier demnach meistens nicht, noch dazu, weil die Rahmenbedingungen uns zu einem großen Teil vorgeben, wann wir was machen können (Einkaufen, Sportangebote usw.).

Also ist unser Verständnis von „Freizeit“ eigentlich missverstanden, wenn es all das umfasst, was nicht „Arbeit“ ist. Die Bezeichnung führt in die Irre, denn wirklich frei ist diese Zeit nicht.  Es ist die Zeit, in der wir für uns selbst und jene in unserer Umgebung die Zeit nutzen.  Meistens jedoch mehr für die um uns herum und weniger für uns selbst.  Und oftmals mit weiteren Leistungen, wenngleich sie nicht finanziell abgegolten werden.  

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Auf was unser heutiges Arbeitskonzept aufbaut

Die Idee von Arbeit und Freizeit in ihren Grundfesten, seit wann besteht sie denn?  Und wie hat sie sich entwickelt?  Diese Frage ist eine, die ich mit Studierenden rund ums Thema Organisation und Change immer wieder anspreche.  Und zwar, weil es sehr aufschlussreich ist zu erfahren, auf welcher Basis unser Arbeitskonzept gebaut ist.  Denn diese Basis limitiert auch ein Stück weit die Möglichkeiten und gibt eine Richtung vor, einen Rahmen.  Stell Dir doch einmal die Frage: Wieviel wirklich neues und bahnbrechendes ist denn möglich, wenn die Grundfeste aussehen wie folgt.

Effizienzsteigerung im Taylor System

Mit dem Ziel, die Effizienz und Leistung in der Produktion zu optimieren, erfolgte die Konzentration auf Spezialisierung, Standardisierung, Formalisierung, die klassische Logik einer Fabrik aus der Zeit der Industrialisierung (Stichwort „Taylor System“).

„Der Mensch ist wie ein Teil einer Maschine; er ist faul, egoistisch; er hat nur Interesse an materiellen Gütern; er muss kontrolliert und extern motiviert werden.“ (Frederic Taylor)

Diese Maschinen-Logik setzte insbesondere Henry Ford, der 1903 die Ford Motor Company gründete, in Idealform dank Fließproduktion, hoher Typisierung und Zerlegung der Arbeitsabläufe um und optimierte sie weiter.  Dieser „Fordismus“ führte zu einer bisher nicht gekannten Erhöhung der Produktivität. Die Motivation der Arbeiter erfolgte vornehmlich durch höhere Löhne.

Fließbandarbeit: Die Zeit des Ursprungs unserer Arbeitskonzepte. Hier ein Screenshot aus Charlie Chapplin’s „Modern Times“ – eine Auseinandersetzung mit dem Verständnis eines Menschen als Teil einer Maschine als Realität der damaligen Arbeitsbedingungen.

Motivation ist durch soziale Faktoren steigerbar

Aufbauend auf den genannten Grundfesten und auf der Suche nach weiterer Effizienzsteigerung wurden 1927 – 1932 die „Hawthrone Experimente“ unter der Leitfrage: „Wie können ArbeitnehmerInnen dazu motiviert werden, eine hohe Leistung zu erbringen?“ durchgeführt.

Mit Ihnen wurde der Human Relation Ansatz begründet, der auch heute noch Basis unseres Ansatzes der Arbeit ist.  Die Erkenntnis dahinter: soziale Beziehungen sind höchstrelevant für die Motivation von Menschen.  Diese ist gezielt beeinflussbar: Wenn das soziale Umfeld und die Arbeit positiv empfunden werden (Verhalten des Vorgesetzten, Vertrauen, materielle Anreize) steigt die Zufriedenheit mit der Arbeit, was wiederum zu höherer Produktivität führt und zu mehr Arbeitsleistung.

„Der Mensch ist ein soziales Wesen; als Gruppenmitglied entwickelt er ein gemeinsames Verhalten gegenüber der Umwelt; das Individuum ist nur eine Variable zu Erklärung von Verhalten.“ (Elton Mayo)

Das, was wir heute als normal ansehen ist also entstanden aus einer Logik der Effizienz- und Produktivitätssteigerung.  Auch die Arbeitszufriedenheit als interessierender Faktor zählte hier entsprechend dazu.  Und diese Grundfesten wirken noch heute: Wir optimieren weiterhin Arbeitskulturen und -umgebungen, damit die Arbeit bewältigt werden kann, das Kerngeschäft gut und effizient abgewickelt werden kann und jede*r sein bestes dafür gibt.  Und es gibt hier fraglos viele geniale Errungenschaften.  Aber nichtsdestotrotz bewegen sie sich in diesem althergebrachten Rahmen.

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Wir haben längst das bestmögliche aus dem bestehenden Arbeitskonzept rausgeholt

Ich bin davon überzeugt, dass wir derzeit – ähnlich wie Henry Ford damals – an einem Punkt angelangt sind, an dem wir das bestmögliche aus dem rausgeholt haben, was die Basis auf der es sich stützt ermöglicht.  Denn: Wieviel Optimierung und Veränderung hin zu einem „neuen“ Arbeitskonzept entsprechend der aktuellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ist dann überhaupt möglich?

Alle neuen Arbeitskonzepte, Unternehmensansätze, Ideen der Arbeitsorganisation, Auflösen von Hierarchien und Flexibilisierung der Prozesse haben ihre Grenzen in ihren Veränderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, die von dem Rahmen, auf dem sie aufbauen vorgegeben werden.  Noch dazu haben wir uns als Gesellschaft weiterentwickelt und der Kontext von Arbeit ist ein anderer als damals.  Wir haben andere Bedürfnisse, ein viel höheres Bewusstsein, was uns guttut oder nicht.

Es sind neue Krisen und Herausforderungen da, die es zu bewältigen gilt, allen voran die Klimakrise. Herausforderungen, die wir eben nicht mehr in unserer „Freizeit“ bewältigen können, sondern für deren Bewältigung es andere Grundfeste und Logiken braucht, eben ein ganz neues „Tun“.

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Quo vadis, „Arbeit“?

Es ist an der Zeit, dass wir unsere Idee von Arbeit nicht nur weiterentwickeln, sondern ganz neu denken.  Die aktuellen Herausforderungen für Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen, für Unternehmen und Arbeitskraft lassen sich nur als Chance nutzen, wenn wir uns neu erfinden.

Unternehmen leiden aktuell insbesondere unter dem Fachkräftemangel, der sich in den kommenden Jahren noch verstärken wird, denn aktuell beginnt die Pensionierungswelle der so genannten „Babyboomer“.  Hier werden viele Expert*innen den Arbeitsmarkt verlassen, die eine Arbeitsmoral gelebt haben, die heute nicht mehr überwiegt.  Das Verständnis von Arbeit verändert sich und dieser Veränderungen können insbesondere Unternehmen nicht mit Althergebrachtem zielführend begegnen.

Natürlich wäre es auch möglich, die heiße Verantwortungs-Kartoffel immer weiter herumzureichen: „Aber zuerst müsste doch… die Politik/die größten Industrien/andere Länder …“.  Jedoch, verändern würde sich dann eben nichts.  Oder anders ausgedrückt: wir würden es dem Zufall überlassen in welche Richtung wir oder „Es“ sich verändert.  Diese Vorstellung ist auch irgendwie unsexy, oder?

Und ja, natürlich, auch diese Veränderung ist eine, die ein Loslassen von lieb gewonnenem und gewohntem erfordert.  Die schmerzt, bei der es einer Anstrengung bedarf und zwischenzeitlich vielleicht sogar – wenn das Neue noch nicht und das Alte nicht mehr da ist – ein wenig Chaos herrscht.

Aber besser ein aktiv beeinflussbares Chaos und eine Veränderung in eine Zukunft die für die neuen Bedingungen passt, als eine, mit der wir reaktiv umgehen müssen. Oder was denkst Du?

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Was es für eine Neuerfindung des Arbeitskonzeptes braucht

Die Konzepte und neuen Modelle sind da, es geht nicht darum, dass etwas Neues erarbeitet oder erfunden werden muss.  Es geht um den Mut loszulassen und sich neu zu erfinden.  Als Unternehmen, als Gesellschaft, als Wirtschaft.  Und es geht darum neue Messgrößen zugrunde zu legen, die das Öffnen eines neuen Möglichkeitsraum ermöglichen.  Ein neuer Möglichkeitsraum, in dem die Karten neu gemischt werden und die Verantwortung gemeinsam getragen wird, für uns alle.  Denn eines steht fest: So wie es jetzt ist, funktioniert es nicht mehr.  Das zeigen uns der Fachkräftemangel, eine Stagflation, vermehrte Pandemien und Kriege, die Klimakrise, eine immer größere Schere zwischen denen, die alles und jenen die nichts haben, wachsende Chancenungerechtigkeiten, wachsende Kinderarmut.  Und zwar trotz aller Adaptionen des Bestehenden.

Die notwendige Veränderung funktioniert dabei nicht „top down“ – weder auf gesellschaftlicher, noch betrieblicher Ebene.  Es ist eine Veränderung, die nur wir alle gemeinsam bewirken können, indem wir uns dazu entscheiden, unsere SelbstwirkKRAFT© für uns und eine bessere Zukunft einzusetzen.  Die Veränderung des Arbeitskonzeptes wie es jetzt besteht kann nur dann erfolgen, wenn das Bewusstsein dafür erhöht wird und Menschen befähigt werden ihre eigenen Bedürfnisse und die der anderen wahrzunehmen, sie aufzugreifen, damit zu arbeiten und den größeren Kontext mit einzubeziehen.  Und das passiert bereits, auch wenn es uns oftmals nicht so bewusst ist.

Ich bin selbst Beraterin für betriebliche Gesundheitsförderung, gesunde Arbeitskulturen und begleite Menschen in Coachings und Trainings auf ihren Weiterentwicklungswegen.  Ein zentraler Wunsch ist auch immer, die eigene Form des Arbeitens zu finden und optimal in das eigene Wirken zu integrieren – als Einzelne*r, Team oder Unternehmen.  Dabei geht es um eine riesige Vielfalt von Faktoren, die unser Wohlbefinden (psychisch, physisch und sozial) im Privaten wie auch am Arbeitsplatz beeinflussen können.

Meine Kund*innen beschäftigt meist der Wunsch, dass sie ihr eigenes Wohlbefinden und gleichzeitig den Sinn des Tuns und ihre SelbstwirkKRAFT© erhöhen möchten und zwar ganzheitlich.  Es geht dabei um das Weiterdenken, das Verständnis der eigenen Bedürfnisse und der eigenen Prioritäten.  Zunächst im Kontext des Bestehenden, um das Bewusstsein der Grenzen der Möglichkeiten.  Dann auch darum, selbst wieder ins Handeln zu kommen und aktiv die Umgebung mitzugestalten.

Es ist Zeit für etwas Neues.  Lasst uns Arbeit verstehen als einen Beitrag zum gemeinsamen, sozial und ökologisch verträglichen Handeln.  Als ein Arbeitskonzept, in dem sich nicht jede*r in vorgegebenen Bahnen hineinquetscht, sondern die Vielfalt in alle Richtungen gelebt, die Potenziale abgerufen werden.  Und zwar in einer Art und Weise, in der es jeder*m ermöglicht wird, die Energie für das einzusetzen, was einem am Herzen liegt und so seine optimale SelbstwirkKRAFT ® zu entfalten.  Denn wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Weiterentwicklung in herkömmlicher Weise ihre Grenze erreicht hat. Und ich plädiere für den Mut „Arbeit“ ganz neu zu erfinden.

Falls Du Lust hast, Dich mit Deiner SelbstwirkKRAFT© näher zu befassen und herauszufinden in welche Richtung Du sie bündeln magst, dann buche gerne ein unverbindliches Erstgespräch mit mir oder rufe mich an und wir schauen mal, wie ich Dich auf diesem Weg begleiten könnte, bspw. im Rahmen meines SelbstwirkKRAFT© Coachingpakets.

 

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